If you only had one Chance

12. Dezember 2021
SPEICHERPLATZ KOSTET (SO GUT WIE) NICHTS. AUSSER DIE KONZENTRATION AUF DAS WESENTLICHE: DAS MOTIV.

Gedanken zu “Massenspeicher- Vernichtern” und Asketen
Im Bücherregal steht Bildband an Bildband. Inspiration, um die eigene Sichtweise zu reizen. Ein bestimmter Bildband ist mehr als visuelle Inspiration: Jim Brandenburg „Chased by the light“.

Was aber macht das Buch besonders? Jim Brandenburg, Naturfotograf und Umweltaktivist, wollte zurück. Zurück zu seinen Wurzeln und den Wurzeln seiner Arbeit. Seine selbstgewählte Aufgabe: Ein einziges Bild am Tag, 90 Tage lang im Herbst in seiner Heimat Minnesota (USA).


Speicherkarten mit 64 GB Kapazität gibt es für unter 30 Euro, 64 GB, das sind 64.000 MB. Ein Bild aus der Sony im ARW Format braucht (weil es einfach zu rechnen ist) rund 50 MB. 1280 Bilder auf einer Speicherkarte  also. 

Blick zurück. Die älteren werden sich erinnern, jüngere kennen es nur, wenn sie sich explizit damit auseinandersetzen. Ein Kleinbildfilm mit 36 Aufnahmen kostet derzeit knapp 9 Euro  als Schwarzweißfilm (Ilford HP5+), knapp 23 Euro als Diafilm (Fuji Velvia 100 135/36). 36 Aufnahmen fast so teuer wie 1280 digitale. Oder sollte man eher sagen wertvoll?

Auch wenn Jim Brandenburgs Buch aus dem Jahr 1998 stammt, hat es nichts von seiner Essenz verloren. Schluss mit Material- und Speicherplatz vernichten, Schluss mit 10 Frames pro Sekunde) – ein 36er Film wäre nach weniger als 4 Sekunden voll gewesen. 4 Sekunden. Ein halber Weltklasse-100-Meter-Sprint. Hin zum Motiv, zur Aufnahme zum Bild. 


Wer glaubt, 1280 Bilder machen zu müssen – ich betone hier das müssen -, um eines zu bekommen, das so gut, so ehrlich, so bewegend ist, dass die Aufgabenstellung erfüllt ist, das dem Motiv gerecht wird, sollte sich auch einmal selbst beschränken. Auf 500, auf 100, auf 50, auf 10 Bilder. Die Technikbegeisterung hat meiner Erfahrung nach die Auseinandersetzung mit dem Motiv in den Hintergrund treten lassen. 

Dieser eine Schuss, der besser ist

Ein gutes Bild ist immer dabei. Stimmt. Aber ist ein gutes Bild nicht einfach genug. Es lohnt, sich wieder mehr mit dem Motiv auseinanderzusetzen. Und statt 5 Minuten Licht setzen und 55 Minuten fotografieren, einfach 55 Minuten mit Motiv und Licht auseinandersetzen und dann 5 Minuten fotografieren. Das Ergebnis ist weniger zufällig, es ist intimer, ehrlicher als das maschinengeweherartige Abfeuern des Auslösers jemals sein kann.


Jim Brandenburg – „Chased by the light“
NorthWord Press, Minnetonka, (Minnesota, USA)
With every frame we see the breath of nature in a single shot… A tour-de-force.

William Allen, EditorNational Geographic Magazine

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